Donnerstag, 22. Dezember 2011

„24.Juli 2005 – 17. November 08“

Ich sitze in einem Stuhl vor deinem Bett. In einem unbequemen Stuhl und ich sitze hier schon seit mehreren Stunden. Und du schläfst, zumindest hältst du die Augen geschlossen, um mich in dem Glauben zu lassen, du würdest schlafen. Aber glaubst du wirklich, ich würde denken, du könntest schlafen, trotz der Schmerzen in deinem Körper? Selbst nach all der Zeit willst du mich noch immer schützen. Doch ich wünschte, du würdest aufhören, mich wie ein kleines Kind zu behandeln, oder wünsche ich nur, dass ich nun dran bin, dich zu schützen?
Ich sitze in einem Stuhl vor deinem Bett, seit Stunden. Und das einzige, worüber ich nachdenken kann ist, was ich zu dir sage, wenn du die Augen wieder öffnest. Soll ich etwas Lustiges sagen, weil ich mir wünsche, dich noch mal lachen zu sehen? Soll ich etwas Tiefgründiges sagen, weil ich kaum noch Zeit habe, irgendetwas zu dir sagen? Soll ich sagen, was du mir bedeutest, weil du nicht gehen sollst, ohne zu wissen, was ich schon so lange für dich empfinde?
Als du mir aber tatsächlich in die Augen schaust, kann ich nichts von all dem sagen, was in meinem Kopf kreist, stattdessen springe ich auf mit der Ausrede, dir etwas zu trinken holen zu wollen. Noch bevor ich aufrecht stehe, greifst du nach meiner Hand und ziehst mich zu dir aufs Bett und flüsterst mir ins Ohr: „Erinnerst du dich noch an jene eine Nacht?“ Du schmunzelst und auch ich kann mir mein Lächeln nicht zurück halten bei dem Gedanken daran. Natürlich erinnere ich mich, manchmal da fühlt es sich sogar noch so an, als wäre es nur wenige Minuten her. Wir schließen die Augen, beide versunken in einem nebligen Dunst der Erinnerung. Ich erinnere mich an jedes Detail aus dieser Nacht. Es war ein halbes Jahr nach Levys Tod und anfänglich wehrte ich mich dagegen, ich wollte ihn nicht betrügen, nicht mit dir. Ich wollte einen Toten nicht betrügen. Und doch gab ich irgendwann nach, ich gab mich dir hin, mit allem, was ich dir geben konnte, mit jeder Faser meines Körpers. Ich erinnere mich an jedes Detail. Die zerwühlten hellblauen Laken auf deinem Bett, die Schatten der Lampe, die an der Decke tanzten, die Lichter der Autos draußen, die über die Wände rasten, die feinen Schweißperlen auf deiner Brust, die feinen Haare rund um deinen Bauchnabel, mein schwarzer BH, der achtlos auf der Türschwelle lag. Ich erinnere mich an jedes Detail, an jedes Gefühl, das meinen Körper in dieser Nacht durchfuhr. Ich erinnere mich an meine Abwehr, mein Nachgeben, mein Los- und Fallenlassen, die Ungewissheit, meine leichte Beschämtheit, meine Erregung, der leicht brennende Schmerz, unser Aufgehen in einander, unser Höhepunkt und danach meine vollkommene Erschöpftheit. Und jetzt liegen wir hier, auf einem Krankenhausbett, das genauso riecht, wie man es erwartet, steril und zu gleich nach Krankheit. Oder sind das etwa die selben Gerüche? Und während ich meinen Kopf ein wenig zur Seite neige, muss ich mit Entsetzen feststellen, dass auch du so riechst. Du riechst wie Krankenhaus. Du riechst nicht mehr wie du. Das Ende eines Lebens kündigt sich in den kleinen Dingen an, wie dem verlorenen Geruch, dem schwindenden Glanz der Augen, der verblichenen Farbe der Lippen. Doch auf eines hat es keinen Einfluss – auf die Lebhaftigkeit des Herzens.

And you, your sex is on fire -
Consumed with what's to transpire.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen